The Right to Vote. Wählen und Wahlen in der US-amerikanischen Geschichte

The Right to Vote. Wählen und Wahlen in der US-amerikanischen Geschichte

Organisatoren
Universität Erfurt
Ort
Erfurt
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.02.2008 - 02.02.2008
Url der Konferenzwebsite
Von
Patricia Wiegmann, Universität Erfurt; Sebastian Haak, Erfurt

Nur wenige Tage vor dem „Super Tuesday“ luden junge Historiker/innen der Universität Erfurt zu einer Konferenz mit dem Titel „The Right to Vote. Wählen und Wahlen in der US-amerikanischen Geschichte“ ein. Angeregt von den aktuellen Debatten um Hillary Clinton und Barack Obama wollten die Konferenzorganisator/innen die Prozesse und Praktiken des Wählens und Gewählt-werden-Wollens in den USA eingehender beleuchten. Die Veranstaltung fand am 1. und 2. Februar im Internationalen Begegnungszentrum der Universität Erfurt statt. Während die (Vorwahl-)Kandidaten der Demokraten und Republikaner noch von einem Wahlkampftermin zum nächsten hetzten, bot sich den Master-Studierenden gemeinsam mit auswärtigen Gästen die Möglichkeit, das US-amerikanische Demokratieverständnis zu historisieren.

In der Sektion „Gender“ wurde nach dem Einfluss von Geschlechtervorstellungen auf US-amerikanische Wahlprozesse gefragt. Im Rahmen dessen besprach MANUELA CARL anhand der Biografien Susan B. Anthonys und Elizabeth Cady Stantons die Anfänge, Strategien und (Miss)Erfolge der ersten Frauenbewegung. Ihr Vortrag „'I have been Gone & Done it!!' - Der Kampf um das Frauenwahlrecht im Spannungsfeld von 'priviliges and immunieties'“ setzte verschiedene Akzente und zeigte etwa, dass nicht allein Geschlecht, sondern auch „class“ und „race“ wichtige Kategorien für die Analyse der Frauenbewegung sind. So verdeutlichte sie, dass die Bewegung aus einem elitären Kreis gebildeter Frauen hervorgegangen war, der sich aus der Anti-Sklaverei-Bewegung herauskristallisiert hatte: Frauen wie Anthony und Stanton hatten sich zunächst für die Abschaffung der Sklaverei engagiert, dabei das „politische Handwerkszeug“, so Carl, erlernt und sich schließlich aufgrund ihrer Benachteiligung gegenüber männlichen Aktivisten abgespalten. Neben der Entstehungsgeschichte stellte die Vortragende weiter dar, wie auch die Argumentation der Frauenbewegung von „Rassefragen“ beeinflusst war. Beispielsweise habe Stanton die Übertragung des Wahlrechts auf afroamerikanische Männer zum Anlass genommen, die gesellschaftliche Benachteiligung weißer Frauen zu kritisieren, ohne dabei die Benachteiligung schwarzer Frauen einzubeziehen.

Nach dieser Betrachtung der Verbindung zwischen gender und Wahlrecht ging es im Folgenden um die Verknüpfung von gender und Wahlkampf. In ihrem Beitrag „Männlichkeit und Wahlkampf 1992. Bill Clinton, the 'sensitve man’, goes for President“ konstatierte JOSEFINE HENNIG zunächst, dass sich die US-amerikanische Präsidentschaft mit verschiedenen Vorstellungen von Männlichkeit verbände. Diese Vorstellungen seien jedoch nicht fix, sondern unterlägen kontinuierlichen Veränderungen. So habe Clintons Amtsübernahme nicht nur die konservative Reagan-Bush Ära beendet, sondern sei auch Ausdruck sich wandelnder Konzepte präsidialer Männlichkeit gewesen. Denn im Gegensatz zu Amtsvorgänger Ronald Reagan habe sich Bill Clinton im Wahlkampf erfolgreich als „sensitive postmacho“ präsentiert. Diesen Terminus verwendete Hennig in Anlehnung an Karin Wahl-Jorgensen und versuchte dies, anhand eines Wahlwerbevideos sowie zweier Fernsehdebatten zu verdeutlichen. Ebenfalls im Rückgriff auf Wahl-Jorgensen, die „fraternity, family, sport and military“ als Kategorien definiert, an denen Männlichkeit gemessen werde, betrachtete Hennig Bill Clintons TV-Auftritte vor allem hinsichtlich seines Umgangs mit Familie, Krieg, Sport und Männerfreundschaften. Dabei schlussfolgerte sie, dass Clinton diese vermeintlich Männlichkeit-konstituierenden Kategorien zwar in seine Selbstdarstellung einbezogen, sie zugleich jedoch mit emotionalisierten Inhalten aufgeladen habe. Auf diese Weise sei ihm ein „crossover“, wie Hennig es formulierte, zwischen Macho und Unmännlichkeit und damit die Inszenierung als „sensitive man“ gelungen. Dies habe letzten Endes neben anderen Faktoren zu seinem Wahlsieg über Georg Bush sen. beigetragen.

In seiner Keynote griff ANDREAS ETGES vom John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin am Beispiel John F. Kennedys die bereits angesprochenen Einflussgrößen „race“, „class“, „gender“ und Medialität wieder auf. In seinem chronologisch strukturierten Beitrag „Coffee or Tea with Kennedy. Die Wahlkämpfe John F. Kenndeys 1946 - 1960“ präsentierte Etges die Wahlkampfstrategien Kennedys im entsprechenden Zeitraum. Dabei definierte er sechs „Elemente des Erfolgs“, die seiner Ansicht nach alle Wahlkämpfe des 1963 ermordeten Präsidenten durchzogen hätten: Charme und Charisma Kennedys, seine Beliebtheit bei Frauen, seine Inszenierung als Kriegsheld, seine guten (häufig gekauften) Verbindungen zur Printmedien und Fernsehen, die finanzielle und personelle Unterstützung seiner Familie sowie eine exzellente Wahlkampforganisation mit einer großen Anzahl (freiwilliger) Helfer; unter ihnen viele Intellektuelle und Künstler. Anhand einer großen Materialfülle von Broschüren, Plakaten und Werbefilmen wurde zudem deutlich, dass der Körper Kennedys eine zentrale Rolle in den Wahlkämpfen einnahm. Denn alle von Etges dargelegten Diskussionen um die Präsidentschaftsfrage oszillierten zwischen Kennedys jungem, dynamischem Körper und den Gerüchten um seine körperlichen Schwächen, die auch als Schwächen im Wahlkampf wahrgenommen und deshalb von Kennedys Strategen bestmöglich verheimlicht worden waren.

Die Sektion „Race“ eröffnete CHRISTIAN ORBAN von der Universität Erfurt. „(Un-)Reconstructed Black Southerners and Political Freedom: Ehemalige SklavInnen und das aktive/passive Wahlrecht“ lautete der Titel seines Beitrages. Darin ging er anhand von Interviews des „Federal Writers’ Project“ und Bildern aus „Harper’s Weekly“ der Frage nach, welchen Wert Wahlen für die „freedpeople" in den Südstaaten besaßen, beziehungsweise mit welchen Praktiken jene, die Orban „restaurative gesellschaftliche Gruppierungen“ nannte, die Afroamerikaner an der Ausübung ihres Rechts zu hindern versuchten. Orban zeigte, dass Freiheit in Teilen der afroamerikanischen Gemeinschaft nicht nur als individuelles, sondern als kollektives Gut verstanden wurde und dem Wahlrecht deshalb eine besondere Bedeutung als Ausdruck dieser Freiheit zukam. So hätten auch (afroamerikanische) Frauen politischen Einfluss besessen, indem sie ihren Ansichten in einem vorpolitischen Feld – also jenseits des eigentlichen Wahlvorgangs – deutlich machten. Hingegen hätten Organisationen wie der Ku-Klux-Klan versucht, die Wahlbeteiligung der ehemaligen Sklaven sowohl durch den Kauf von Stimmen als auch durch die Androhung von Gewalt zu beeinflussen. Als Reaktion darauf, so Orban, bewaffneten sich Afroamerikaner beim Gang zur Wahl oder gingen nur in Gruppen. Abschließend hob Orban hervor, dass, folgt man den analysierten Interviews mit ehemaligen Sklavinnen und Sklaven, das „right to vote“ für die „black community“ nicht die einzige und keinesfalls unbedingt die wichtigste Spielart der neu gewonnen Freiheit und politischen Partizipationsmöglichkeit gewesen sei.

JAN TAUBITZ legte im Folgenden die Verabschiedung und Durchsetzung des „Voting Rights Act“ von 1965 unter Lyndon B. Johnson dar. Sein Vortrag „’We shall overcome’: LBJ und der Voting Rights Act 1965“ ging von der These aus, dass es für Johnson ein Muss war, sich nach seinem unerwarteten Amtsantritt schnell als neue politische Führungsfigur der USA zu profilieren. Hierfür, so Taubitz, habe er die Bürgerrechtspolitik John F. Kennedys aufgegriffen und belebt und 1964 zunächst den „Civil Rights Act“ durch den Kongress gebracht. Auch der „Voting Rights Act“ sei maßgeblich auf Johnsons Engagement zurückzuführen gewesen, wie Taubitz deutlich machte. Gleichwohl räumte er ein, der Präsident sei auch von Seiten der Bürgerrechtsbewegung unter Druck geraten: Das „Civil Rights Movement“ habe 1965 das „right to vote“ immer mehr zu einem zentralen Thema gemacht. Anhand dieses konkreten Beispiels wurde deutlich, wie verschiedene Kräfteverhältnisse im Spannungsfeld von Wahlen interagieren können. Der „Voting Rights Act“ sei insgesamt „noch wirksamer und bedeutender“ gewesen als der „Civil Rights Act“. Den Hauptgrund für diese Bewertung beschrieb Taubitz mit den bundesstaatlichen Interventionsmöglichkeiten, die das Gesetz bot. Weiter machte er auf die Folgen des Acts von 1965 aufmerksam, die weit über die Bürgerrechtsbewegung hinausgegangen seien. Unter anderem hätten die Demokraten aufgrund der Verabschiedung dieses Gesetzes ihre Mehrheiten im Süden der USA an die Republikaner verloren, sich aber gleichzeitig für viele Afroamerikaner wählbar gemacht.

Mit dem US-Präsidentschaftswahlkampf von 1900, der vor dem Hintergrund des US-Militäreinsatzes auf den Philippinen vor sich ging, beschäftigte sich ROBERT KRAMM von der Universität Erfurt. Kramm versuchte in seinem Beitrag mit dem Titel „Bryan or McKinley: Die Verortung der US-Präsidentschaftswahl von 1900 in-between Kolonie und Empire“ zu zeigen, dass bei dieser Wahl die zeitgenössischen, rassischen Diskurse von zentraler Bedeutung waren. In diesem Zusammenhang seien gleichzeitig „die Grenzen von kolonialem Zentrum und kolonialer Peripherie“ verwischt worden. Denn mit der Einmischung der Filipinos in den Wahlkampf seien „in-between spaces“ jenseits fest imaginierter Grenzen beschrieben worden. Zunächst zeigte Kramm die Einigkeit der Präsidentschaftskandidaten William McKinley und William Jennings Bryan bezüglich der rassischen Stereotype der Filipinos, die diese als „unfit“ für Zivilisation und Demokratie stigmatisierten. Trotzdem sei man zu unterschiedlichen Schlüssen gelangt: Während die Expansionisten um McKinley für eine Dominanz der Inselgruppe plädiert hätten, seien die Anti-Imperialisten dafür eingetreten, die Philippinen sich selbst zu überlassen, ihnen bestenfalls militärischen Schutz zu gewähren. Die Filipinos hätten im Angesicht dieser Diskussionen in den USA über ihre Unabhängigkeit und ihren „Rassenstand“ aber nicht unbeteiligt im „waiting-room of history“ gesessen, sagte Kramm weiter. Vielmehr zeigte er Handlungsoptionen auf, mit deren Hilfe zumindest eine Elite der Filipinos versucht habe, Einfluss auf den US-Wahlkampf zu nehmen. Dies verweise auf die „Unhaltbarkeit des binären Denkschemas von Zentrum und Peripherie“.

Im letzten Vortrag der Konferenz betrachtete CHRISTINE WEISS vom Deutschen Jugend Institut in München schließlich weniger die Wahlkämpfer als vielmehr ihre Gattinnen. „Die Frau an seiner Seite. Die First Lady im Wahlkampf“ lautete der Titel ihres Vortrages, in dessen Verlauf sie darlegte, wie wichtig ein intaktes Familienleben für die Wählbarkeit eines Kandidaten im US-Wahlkampf ist und welche Schlüsselrolle dabei den Ehefrauen zukommt. Die Wahlkämpfe Bill Clintons waren dabei ihre vorrangigen Analyseobjekte. In diesen sei Hillary Clinton von den Wahlkampfberatern ihres Mannes Bill mehrmals in die Schranken verwiesen und aus dem Fokus der Medien herausgehalten worden, wenn sie sich in der Öffentlichkeit zu dominant gegeben habe. Nach den Zwangspausen sei sie dann stets wieder als Verkörperung von Hausfrau und Mutter an die Seite Bill Clintons zurückgekehrt. Dieses Phänomen, so Weiss, habe eine Ursache im (vermeintlichen) Glauben vieler US-amerikanerischer Wähler/innen an eine Formel, nach der eine starke Frau einen schwachen Mann bedeuten müsse und umgekehrt. Da das Amt des US-Präsidenten aber „einen männlichen Charakter“ habe, wie Weiss sagte, dürfe ein Mann gerade im Wahlkampf niemals schwach erscheinen; müsse seine Frau ihm Gelegenheit geben, sich mit den als typisch empfundenen Männlichkeitsattributen zu profilieren. Vor diesem Hintergrund sei es auch zu verstehen, dass Hillary Clinton im aktuellen Wahlkampf mehr Stärke zeigen müsse als ein männlicher Bewerber, um wirklich stark zu erscheinen.

Der aktuelle US-Vorwahlkampf (der Demokraten), dies hat die Konferenz deutlich gemacht, darf mit Recht als Wasserscheide bezeichnet werden: Hier werden historisch tradierte Rollen neu verhandelt. Frauen und Afroamerikaner, die lange Zeit um ihr aktives wie passives Wahlrecht kämpfen mussten, streben nun – getragen von Millionen Anhängern – nach dem höchsten Amt der amerikanischen Demokratie. Dadurch wird deren Rolle in der US-Gesellschaft insgesamt neue Facetten erhalten, da es beim Wählen und Gewählt-werden stets um mehr als den eigentlichen Gang zur Urne geht. Dies ist kein plötzlicher Bruch, sondern das Ergebnis eines langen, teils widersprüchlichen Prozesses, der von der Konferenz in Schlaglichtern beleuchtet wurde.

Kurzübersicht

Sektion 1: Gender

Manuela Carl, Universität Erfurt: Susan B. Anthony: “I have been Gone & Done it!!” – Der Kampf um das Frauenwahlrecht im Spannungsfeld von “privileges and immunities”
Josefine Henning, Universität Erfurt: Männlichkeit im Wahlkampf 1992: Bill Clinton, the “sensitive man”, goes for President
Andreas Etges, John-F.-Kennedy-Institut, Freie Universität Berlin: Coffee or Tea with Kennedy. Die Wahlkämpfe John F. Kennedys von 1946-1960

Sektion 2: Race

Christian Orban, Universität Erfurt: “(Un-) Reconstructed” Black Southerners and Political Freedom: Ehemalige SklavInnen und das aktive/passive Wahlrecht
Jan Taubitz, Universität Erfurt: “And we shall overcome”: Lyndon B. Johnson und der Voting Rights Act 1965
Robert Kramm, Universität Erfurt: “Bryan or McKinley”: Die Verortung der US-Präsidentschaftswahl von 1900 in-between Kolonie und Empire
Christine Weiss, Deutsches Jugend Institut, Berlin: Die Frau an seiner Seite. Die First Lady im Wahlkampf; CHRISTINE WEISS


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